Wie Zusammenleben gelingt, wenn Training allein nicht reicht

Die letzten Tage waren intensiv. Für mich. Für meinen Hund Titus. Und für zwei Gasthunde, die aktuell bei uns leben: ein Appenzeller-Rüde und eine französische Bulldogge. Alle drei sind etwa gleich alt und jeder bringt seine ganz eigene Geschichte, Energie und – ja – Baustellen mit.

Das klingt nach einer netten Hundegruppe. In der Realität bedeutete das vor allem eines: konsequentes Management, strukturierte Abläufe und vorausschauende Entscheidungen.

Warum?
Weil Konflikte in der Luft lagen – und zwar nicht durch Aggression allein, sondern durch unausgesprochene Spannungen, fehlgeleitete Kommunikation und ein Maß an Reaktivität, das nicht einfach „wegtrainiert“ werden kann binnen der Betreuungszeit.

Titus, mein eigener Hund, hat in den letzten Jahren viel gelernt. Kontrolle, Strategien, Impulskontrolle, Orientierung. All das braucht Zeit, Feingefühl und Geduld. Und genau dieses Fundament geriet ins Wanken, als er von einem der Gasthunde immer wieder körperlich bedrängt wurde. Kein Angriff – aber zu viel Nähe, zu wenig Feingefühl. Titus wurde gereizter, seine Körpersprache angespannter, seine Signale klarer (nach vorne gerichtet).

Gleichzeitig war klar: 

Training war mit den Gasthunden nicht geplant. Ich wollte lediglich betreuen: begleiten, absichern, versorgen. Doch ohne Training ging es nicht. Denn Management ist nicht einfach ein Ersatz für Training – es ist die Basis dafür, dass überhaupt ein sicherer Rahmen entsteht, in dem Lernen möglich ist. Es ersetzt kein Training – verhindert jedoch auch eine Verschlimmerung.

Und hier ein Punkt, der oft missverstanden wird:
Training ist nicht im Preis der Betreuung enthalten.
Wenn ich beginne, gezielt an Verhalten zu arbeiten, wenn ich auf Körpersprache eingehe, an Signalen arbeite oder gezielt interveniere, ist das weit mehr als „nur“ Betreuen. Es ist Facharbeit – individuell, aufmerksam und ressourcenintensiv.

Ich leiste sie, weil mir das Wohl der Hunde am Herzen liegt – aber sie ist kein unsichtbares Extra, sondern ein klarer Zusatzaufwand.

Ein Punkt, den viele Hundehalter:innen unterschätzen.

Ich weiß, wie es klingt, wenn jemand sagt: „Die regeln das schon unter sich“ oder „Ach, meiner ist eh der Ruhigste.“ In meinem Fall sagte das Frauchen der Bulldogge: „Bei Titus mache ich mir keine Gedanken – die verstehen sich. Die anderen kannst du ja trennen.“ Bei Übernahme der Bulldogge kam es beinahe zu einer Eskalation zwischen Oskar und Jack.
Und ja – Titus kann souverän sein. Aber auch er hat Grenzen. Und wenn diese nicht gesehen werden, wenn Reaktionen wachsen, Spannungen steigen und Räume zu eng werden, wird aus Souveränität irgendwann Frustration.

Die Verantwortung für eine Hundegruppe – besonders wenn die Hunde sich nicht kennen oder Unsicherheiten mitbringen – endet nicht an der Haustür. Sie liegt in der Einschätzung, wie viel man seinem Hund selbst und anderen zumuten kann.

Management heißt nicht, aufzugeben. Es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Grenzen zu setzen. Raum zu geben. Training nicht zu erzwingen, sondern möglich zu machen.

Heute, nach drei Tagen mit klaren Abläufen, getrennten Räumen und kontrollierten Begegnungen, lief der Appenzeller das erste Mal ohne Maulkorb. Bedeutet für mich: Mehr lesen von Mikrosignalen, unerwünschte Handlungen bereits abwenden bevor die Handlung startet. Inzwischen sind mehrere Stunden „Maulkorb freie Zeit“ vergangen und wir – Titus und ich – atmen wieder durch.

Nicht, weil sich alles in Luft aufgelöst hat. Sondern weil wir Zeit gegeben haben. Raum geschaffen haben. Nicht „machen lassen“, sondern geführt haben. Zuhause wie auch draußen. Bei den Gassi Runden wählen wir entsprechende Wege, die vorausschauendes Handeln ermöglichen – so konnten wir heute direkt eine Joggerin mit Hund ganz entspannt passieren lassen – und kommen dennoch den Bedürfnissen nach zum Laufen und Schnüffeln nach und versuchen Stressoren (welches dieses unerwünschtes Verhalten anfeuern können) zu vermeiden wie z.B. das Auto fahren, was weder Oskar noch Jack gerne tun.

Und genau das wünsche ich mir öfter von Hundehalter:innen:
Verantwortung zu sehen, bevor etwas eskaliert. Nicht resigniert einfach mehr Auslastung zu geben, sondern den Blick auf die Basis zu richten: Sicherheit, Struktur und Vertrauen.

Nicht jeder Hund ist „easy“.
Nicht jede Begegnung „harmonisch“.
Und genau deshalb braucht es Bewusstsein.

Für das, was unsere Hunde leisten.
Und für das, was wir ihnen zumuten.

Und wenn das bisherige Training nicht die gewünschte Wirkung zeigt – dann darf und sollte man sich fragen:
Wo stehen wir gerade wirklich? Was braucht mein Hund – und was kann ich anders machen?
Nicht als Vorwurf, sondern als Einladung zur Weiterentwicklung.

Denn manchmal liegt es nicht am ob, sondern am wie:
🟡 Ist die Struktur klar genug?
🟡 Ist der Trainingsrahmen alltagstauglich?
🟡 Fehlt vielleicht Sicherheit, bevor Lernen überhaupt stattfinden kann?
🟡 Oder läuft im Hintergrund zu viel, was überfordert – auch wenn es gar nicht so aussieht?

Effizienz im Hundetraining entsteht nicht durch „mehr machen“, sondern durch passend machen.

Wenn wir bereit sind, ehrlich hinzusehen – auch dahin, wo es unbequem wird – entsteht Entwicklung.
Für den Hund. Für uns. Und für ein Zusammenleben, das nicht auf Druck, sondern auf Verständnis beruht.


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