Wer kennt es nicht? Man steckt viel Zeit und Energie in ein gründliches Medical Training, um den Hund optimal auf Tierarztbesuche vorzubereiten – und dennoch läuft dann im Ernstfall nicht alles nach Plan. Genau so erging es mir mit meinem Hund Titus beim letzten Termin. Dabei ging es nicht „nur“ ums Impfen, sondern um eine umfangreichere Diagnostik mit Röntgen, Ultraschall, Urin- und Blutentnahmen. Was an diesem Tag passiert ist und warum es trotz aller Vorbereitung stressig wurde, möchte ich heute teilen.
Erinnerungen sind mächtiger als gedacht
Titus ist grundsätzlich ein unsicherer Hund. Bei unserem letzten Tierarztbesuch in St Leon Rot – nur zur Impfung – in einer neuen Praxis mit völlig neuen Menschen, wirkte er dafür sogar sehr entspannt. Umso überraschender war es, wie stark sein Verhalten nun in Longuich schwankte. Schon bei der Ankunft merkte ich, dass Titus einerseits freudig in die Praxis lief, andererseits aber auch alte Verhaltensmuster zeigte.
Die Praxis ist uns nicht fremd: Hier waren wir häufig mit meinem verstorbenen Hund Fips, besonders wegen dessen Herzultraschall alle paar Monate. Titus begleitete uns damals oft und hat diese Umgebung offenbar tief verknüpft – mit den Geräuschen, Gerüchen und vielleicht auch den Emotionen rund um Fips’ Erkrankung. Die Tierärztin hatte Titus seit Fips’ Tod nicht mehr gesehen. Es ist faszinierend und gleichzeitig bewegend, wie Hunde Erinnerungen verknüpfen und wie schnell alte Bilder wieder präsent werden können.
Kleine Auslöser, große Wirkung
Direkt gegenüber dem Behandlungsraum sind die Hunde der Tierärztin. Früher hat Titus dort gerne „Antwort“ gegeben und sich aufgeregt. Diesmal war es zwar weniger ausgeprägt, aber immer noch ein Rückschritt zu dem „neuen Titus“, der in einer anderen Praxis souverän bleibt. Hier, in der alten Umgebung, zeigten sich wieder Reste des „alten Titus“.
Noch bevor die Ärztin ins Zimmer kam, befragte uns die Tierarzthelferin. In diesem Moment stieg bereits Titus’ Anspannung: Er begann zu pupsen, was zeigt, dass er im wahrsten Sinne „aufgegast“ war, verbunden mit schneller Atmung. All das sind Hinweise auf wachsenden Stress – und sie steigerten sich, als es an die eigentliche Diagnostik ging.
Röntgen, Ultraschall und Co.: Wenn Medical Training an Grenzen stößt?
Für Titus ist das Röntgen immer die heikelste Übung: Hinlegen, auf die Seite drehen, stillhalten. Eine Situation, die seine Unsicherheit maximal triggert. Meine Vorstellung war, dass wir trotz Training möglichst ohne Zwang auskommen, doch in der Realität mussten wir ihn dann doch zu zweit festhalten. Genau das wollte ich eigentlich vermeiden, um nicht noch mehr Druck aufzubauen. Sind das Grenzen des Trainings? Nein – es bedeutet für uns nur: mehr üben und das auch letztlich in dem Kontext, in dem es gefragt ist. D.h. also künftig Tierarzt Termin vereinbaren einfach nur so fürs Training.
Anschließend folgte der Ultraschall. Überraschenderweise lief es hierbei besser, auch wenn wir für einen optimalen Blick auf seine Organe Titus auf dem Rücken in eine Schale legen mussten. Die Tierarzthelferin übernahm die Hinterbeine und ich hielt seinen Oberkörper. Dabei beruhigte sich seine Atmung etwas – ein Zeichen dafür, dass zumindest in dieser Position die Situation für ihn erträglicher war. Aber auch hier war einigen Minuten Schluss und seine Kooperation war hierfür beendet.
Was gut klappte: Katheter und Blutentnahme
Trotz aller Aufregung zeigte Titus sein Können, als es um den Katheter und die Blutentnahme ging. Dank des vorherigen Medical Trainings funktionierte das ohne zusätzliche Fixierung. Er ließ die Prozedur über sich ergehen – natürlich immer noch angespannt, aber weit weniger stressbelastet als beim Röntgen.
Erst auf der Rückfahrt wurde mir so richtig bewusst, wie sehr ihn das alles mitgenommen hatte: Titus war so aufgekratzt, dass er sich übergeben musste. Das ist ein klares Signal dafür, dass die Situation für ihn sehr belastend gewesen war – trotz aller Vorbereitungen.
Medizinisch alles in Ordnung – psychisch nicht?
Die ersten Ergebnisse der Untersuchung zeigten, dass medizinisch bei Titus’ Blasenthematik alles im grünen Bereich ist. Somit liegt die Ursache vermutlich im psychischen Bereich. Die Frage „Was nun?“ beschäftigt mich seitdem unentwegt.
Mögliche nächste Schritte könnten sein:
- Verhaltenstherapie: Einen Tierarzt mit Zusatzausbildung in Verhaltensmedizin hinzuziehen, der – im Gegensatz zu mir als Verhaltensberaterin – auch Medikamente verschreiben kann, falls notwendig.
- Zweithund? Könnte ein Artgenosse ihm Sicherheit geben? Oder erzeugt das eher Abhängigkeiten und neue Stressoren?
- Mehr Routine und Klarheit: Struktur im Alltag und gezieltes Training, um langfristige Sicherheit aufzubauen.
Gefahren des „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“
Für einen Moment war ich verlockt, nach einem weiteren Hund Ausschau zu halten – in der Hoffnung, Titus könnte sich an einem souveränen Partner orientieren. Doch ich habe gelernt, dass es riskant ist, die Sicherheit eines Hundes von einem zweiten Hund abhängig zu machen. Als ich Titus damals zu Fips holte, geschah das auch in guter Absicht, doch letztlich war es ein großer Spagat und eine enorme Verantwortung, die mich beinahe überfordert hat.
Meine Arbeit mit Kunden beruht auf dem Prinzip der Unabhängigkeit und Freiheit: Ein Hund sollte lernen, sein eigenes Selbstbewusstsein zu entwickeln, statt es an einen weiteren Hund zu knüpfen. Daher rückt nun eher die Verhaltensanalyse in den Vordergrund. Ich werde alle Umstände durchleuchten und einen strukturierten Plan entwickeln. Das ist „Detektivarbeit“, die Zeit und Geduld erfordert – aber der nachhaltigste Weg, um langfristig Ruhe in Stresssituationen zu bringen.
Fazit: Der Weg ist das Ziel
Dieser Tierarztbesuch hat mir einmal mehr gezeigt, dass Medical Training zwar großartige Grundlagen legt, aber eben nicht jede Überraschung ausschließen kann. Hunde sind emotionale Wesen, sie erinnern sich an Gerüche, Räume und Erfahrungen oft viel intensiver, als wir vermuten. Als wir am Montagabend im Bett lagen, kuschelte sich Titus wie gewohnt in meinen Arm. Irgendwann drehe ich mich um auf die Seite und schlafe dann auch ein. Nicht am Montag. Als ich mich umdrehen wollte, klammerte sich Titus an meinemArm fest und lies nicht los. Erst ca eine Stunde später, konnte ich mich dann umdrehen. Am gestrigen Tag waren ebenfalls noch Nachwirkungen ersichtlich wie hohes Erregungslevel, er träumte stark (wenn er mal schlief) und schreckte hoch, suchte dann auch direkt nach mir und brauchte wieder Kontakt, um sich zu beruhigen. Heute, Mittwoch, sitze ich nun im Büro und schreibe diesen Blogartikel, während Titus im Wohnzimmer auf der Couch liegt – es geht wieder in die richtige Richtung.
Titus hat tapfer durchgehalten, doch sein Stress war enorm. Medizinisch ist alles okay, psychisch braucht er jetzt Feintuning. Ich bin fest entschlossen, diesen Weg mit ihm zu gehen und weiterhin an der Ursache zu arbeiten. Wenn du dich in dieser Geschichte wiedererkennst, möchte ich dich ermutigen:
- Sei nachsichtig mit deinem Hund und dir selbst.
- Suche Unterstützung, wenn du unsicher bist – etwa bei einer guten Hundeschule oder einem Fachtierarzt für Verhalten.
- Gib nicht auf, wenn es mal hakt. Selbst gut trainierte Hunde reagieren manchmal anders als erwartet – das macht sie zu den individuellen Persönlichkeiten, die wir doch lieben und schätzen. Egal ob Erziehung oder solche Thematiken: du brauchst eine Strategie, die jeweils individuell anpassbar ist, damit es voran gehen kann.
Denn am Ende lohnt sich jeder Schritt: für mehr Vertrauen, weniger Stress – und vor allem für das Wohl deines Hundes.
